Ein besonderer Friedhof
Ein ungewöhnlicher Ort zum Spazierengehen
Wenn wir an Friedhöfe denken, fallen uns Tod, Trauer, Trennung und Erinnerungen ein. Aber auch Ruhe und Frieden. Wir sind zum Alten Sankt-Matthäus-Kirchhof gegangen und haben neue Eindrücke gewonnen. Wir möchten hier darüber berichten:
Der Alte Sankt-Matthäus-Kirchhof im Lauf der Zeit
Wir betreten den Friedhof mit gemischten Gefühlen. Gegenüber ist ein Spielplatz mit riesigem verlockendem Klettergerüst. Wir wissen nicht genau, was uns erwartet. Gleich am Eingang befindet sich das Café Finovo. Nicht nur Kaffee und Kuchen werden dort angeboten, sondern auch Blumen, Kerzen und andere Gegenstände. Es ist für viele ein Treffpunkt. Vor uns liegt ein großer Park. Vögel zwitschern. Es ist entspannt.
Wir laufen an der großen Kapelle vorbei zur Tafel mit Lageplan. Dort stehen die Geschichte des Ortes und Namen berühmter Leute, die sich hier bestatten ließen. Es sind wohl-habende Kaufleute und Unternehmer, erfolgreiche Künstler, höhere Beamte und bedeutende Wissenschaftler. Die meisten sind uns unbekannt. Wir sind neugierig.
Wir gehen den breiten Mittelweg hoch, vorbei an kleinen Grabplatten für Kriegsopfer. Dann entdecken wir einen langen Spruch im Holz geschnitzt über einem Grab: Er war ein ritterlicher furchtloser Jagdfliegeroffizier, sie war eine tapfere beliebte Berlinerin im Bombenhagel. Was tun wir mit solchen Infos? Sie berühren uns, weil sie mehr über das Leben dieser Menschen preisgeben als nur Daten. Wir stellen uns Fragen.
Nicht weit davon entfernt erinnert ein Gedenkstein an Claus Graf Schenk von Stauffenberg und die Widerstandskämpfer des 20. Juli. Sie wurden zunächst hier bestattet, doch der Chef der SS, Heinrich Himmler, ließ ihre Leichen verbrennen und ihre Asche verstreuen.
Am Gedenkstein liegt ein Ziegelstein, darauf steht: Ehrengrab Land Berlin. Das Land Berlin ehrt diese Menschen und pflegt deren Gräber. Wir werden noch viele solche sehen, um die 60 soll es geben. Der nächste - gleich um die Ecke - für den Mediziner und Politiker Rudolf Virchow (1821-1902) und noch einer ein wenig weiter auf dem Grab von Friedrich Drake (1805–1882, Bildhauer). Wir kennen ihn nicht, jedoch etwas, was er gemacht hat: die große weibliche Figur mit Flügeln auf der Siegessäule, von den Berlinern "Goldelse" genannt.
Es ist schön ruhig hier, wir entdecken immer mehr bekannte und unbekannte Menschen, kleine Gräber, teure Mausoleen. Vielfalt ist überall.
Kleine Gräber und teure Mausoleen
Wir kennen die Menschen, die hier begraben sind, gar nicht. Trotzdem fallen uns einige Gräber besonders auf, durch ihre Schönheit oder Fantasie. Manchmal wissen wir gar nicht, warum. Vielleicht weil sie mehr über die Person verraten, ihre Leidenschaft, ihren Glauben und ihre Hoffnungen. Oder ihren Beruf.
Hier liegt eine junge Ballett-tänzerin, dort vielleicht ein Buddhist. An seinem Grab steht ein kleines Geisterhaus. Und da: jemand, der noch durch eine Klingel und einen Briefkasten mit Briefklappe erreichbar zu sein scheint.
Der Box-Weltmeister Graciano Rocchigiani liegt in einer Boxring, auf dem Grabmal sind Boxhandschuhe. Es gibt auch ein Foto von ihm. Das sieht man ab und zu: Fotos von Verstorbenen. Um ihre Gesichter nicht zu vergessen?
Manche berühmte Leute sind ganz bescheiden begraben. Wir stehen vor schlichten schwarzen Platten: darauf in weißer Schrift die Namen Jacob (1785-1863) und Wilhelm Grimm (1786-1859). Man kennt sie als Märchensammler.
Andere liegen in einem Mausoleum mit einer Kapelle wie der Milchunternehmer Carl Bolle (1832-1910). Wir schließen daraus, dass er gute Geschäfte gemacht hat. Ein bisschen weiter steht die große Grabstätte des Ingenieurs und Papierfabrikanten Carl Hofmann (1836–1916). Wir mögen das Bild hinter der Statue, eine vergoldete Sonne.
Wollten diese Menschen durch ihr Grab auffallen? Haben sie es selber so gewollt? Was kostet so ein Grab?
Immer neue Fragen fallen uns ein.
Natürlich sind große Mausoleen teuer zu erhalten, manche zerfallen und es gibt kein Geld oder keine Verwandten mehr, die die Kosten übernehmen könnten. Man kann eine Patenschaft beantragen und die Kosten der Renovierung tragen und sich selber dort begraben lassen.
Einsam oder gemeinsam?
Es gibt Grabmäler für eine Person oder ein Ehepaar oder eine ganze Familie. Manche wollen nicht allein in der Erde ruhen. Es gibt so etwas wie Wohngemeinschaften. Die Menschen liegen alle auf einer kleinen Fläche oder ihre Namen stehen auf einer gemeinsamen Tafel. Viele Blumen schmücken diese Gemeinschaftsgräber.
Wir laufen zu einer Gedenkstätte für an AIDS verstorbene Menschen. Wir sprechen über Krankheiten.
Wohin geht die Reise?
Hier liegen viele Koffer übereinander. Es ist ein Kunstwerk des Bildhauers Gerald Matzner, der nicht weit vom Kofferturm begraben ist. Vielleicht gehören die Koffer vielen Menschen, die ihre letzte Reise angetreten haben. Wo sie jetzt sind? Darüber reden wir, es gibt viele Antworten. Einer sagt, er würde nicht gern mit Balkon und Blick auf den Friedhof wohnen. Er hätte Angst, dass nachts die Toten auferstehen. Wir reden über unsere Ängste und den Tod.
Der Garten der Sternenkinder
Im nördlichen Teil des Friedhofs liegt ein bunter Garten, voll mit Spielzeugen, Kuscheltieren, Kerzen, Lichtern, fast fröhlich geschmückten kleinen Grabmälern. Das ist der Garten der Sternenkinder, dort liegen kleine Babys. Wir lesen einige Namen, versuchen uns vorzustellen, wie schwer es für eine Familie ist, so einen kleinen unschuldigen Menschen zu verlieren. Der Ort strahlt Ruhe und Frieden aus. Klangspiele und sich drehende Windmühlen bringen Bewegung rein.
Ein großer Park
Auch die schönen Blumen und Bäume machen den Ort angenehm. Viele Vögel, Eichhörnchen hüpfen da und dort, einige Menschen kommen hier mit Blumen an oder zum Gießen, einige wie wir, nur zum Spazieren, andere setzen sich auf eine Bank und lesen. Es gibt viele Gründe, um hierher zu kommen.
Wir gehen jetzt heraus, vor uns liegt der Spielplatz. Wir klettern einmal ganz hoch auf das Klettergerüst.
Text: Caspar, Claire und Théophile
Zeichnungen: Alina
Fotos: Claire und Alina
Text, Zeichnungen und Fotos © Grand méchant loup | Böser Wolf
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