Der Beruf des Filmemachers: 

 „Ich habe gemerkt, ich habe irgendwie Talent dafür...“ 

Wim Wenders, ein international bekannter Regisseur, erzählt uns von seinem

Lebens- und Berufsweg als Regisseur (Teil 1)

 

Sie sind Filmemacher. Können Sie uns das in ein paar Sätzen erklären?
Einen Film zu drehen, ist ein ziemlich langwieriger Prozess und dauert heute zwischen ein und zwei Jahren. Da gibt es viele Berufe, die zusammenspielen. Einer dieser Berufe ist der Regisseur, und nur den nennt man eigentlich „Filmemacher“. Der hat das Sagen und ist vom Anfang bis zum Ende dabei. Alle anderen sind nur für einen Teil der Arbeit dabei, außer vielleicht noch dem Produzenten: Der Kameramann ist nur da, wenn man dreht. Der Cutter ist nur da, wenn man schneidet. Der Komponist ist nur da, wenn man die Musik macht, und der Drehbuchautor ist nur am Anfang da, wenn man sich die Geschichte ausdenkt.

 

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Regisseur zu werden?
Ich wollte ursprünglich Maler werden. Ich fand das Filmemachen spannender als die Malerei, weil man so viel mehr machen konnte. Die ersten Jahre habe ich keine Spielfilme gemacht, sondern eigentlich „Malerfilme“, also Bilder hergestellt, aber eben mit der Kamera. Landschaften vor allem. Und langsam erst bin ich darauf gekommen, wie spannend es ist, mit Filmen Geschichten zu erzählen. Ich habe gemerkt, ich habe irgendwie ein Talent dafür.

Wie alt waren Sie da?
Da war ich 22, 23... Ich habe erst mal Einiges ausprobiert und verschiedene Studienfächer angeguckt, neben der Medizin auch Philosophie und Kunstgeschichte. Ich habe erst langsam begriffen: im Film kam alles zusammen, was ich gern mochte. Ich habe Saxophon gespielt, und im Film kommt Musik vor. Ich habe immer gern geschrieben, und für einen Film muss man ein Konzept und ein Drehbuch schreiben. Ich habe viel fotografiert – schon als kleiner Junge hatte ich eine Fotokamera - und Filmen hat mit Fotografieren zu tun.

War es einfach, Filmemacher zu werden?
Das war zu der Zeit damals, in den 60er Jahren, noch längst nicht so wie heute. Filmemacher zu werden, war damals ungefähr so ausgefallen, wie Astronaut werden zu wollen. Heute machen das viele junge Leute, weil auch wesentlich mehr Filme hergestellt werden, sowohl fürs Fernsehen, fürs Kino, als auch fürs Internet.

Haben Sie sich aber schon in Ihrer Kindheit für Film und Fernsehen interessiert?
Das müßt Ihr Euch mal vorstellen: Fernsehen gab es damals noch nicht! Ich bin 1945 geboren, in Deutschland fing das Fernsehen erst Mitte der 50er Jahre an. Vorher hatte niemand einen Fernseher.

Und sind Sie dann als Kind oft ins Kino gegangen?
Kino war teuer. Aber ich hatte etwas viel Besseres: ich hatte von meinem Vater einen kleinen Filmprojektor geerbt, mit so einer Handkurbel und einem Birnchen drin. Und dazu eine alte Zigarrenkiste, wo ein Dutzend kleiner Filme drin waren. Das waren Dick-und-Doof-Filme, Charlie-Chaplin-Szenen, auch ganz frühe Disney-Sachen wie Donald Duck. Die konnte ich mit meinem Projektor vorführen, entweder an eine Wand oder auf ein Bettlaken. Und da es noch keinen Fernseher gab, war ich bei meinen Freunden richtig populär, weil ich zu jedem Kindergeburtstag die Filme vorführen konnte. Vorwärts und rückwärts. Ich kannte die natürlich in- und auswendig.

 

Sie haben angefangen, Medizin zu studieren, warum?
Mein Vater war Arzt, also habe ich Medizin studiert, aber nicht sehr lange. Dann habe ich bemerkt, damit würde ich nie glücklich werden. Ich habe meinen ganzen Mut zusammengenommen und meinem Vater in den Semesterferien eröffnet, dass ich das nicht weitermachen wollte. Ich habe mir gedacht, er ist entweder stinksauer, traurig oder enttäuscht. Aber er hat bloß gelacht und gesagt: „Ich wusste das von Anfang an, aber ich konnte es Dir ja schlecht sagen. Das musstest Du schon selbst herausfinden.“

Sie haben ein paar Jahre lang in Frankreich gelebt und sprechen ja auch französisch. Hat Frankreich einen Einfluss auf Ihre Filme?
In Paris habe ich eigentlich das Kino entdeckt. Ich  habe dort Malerei studiert, hatte aber herzlich wenig Geld. In meiner kleinen Bude war es saukalt und ich habe sogar im Mantel geschlafen. Ins Kino zu gehen, konnte ich mir nicht leisten, aber die „Cinémathèque“ war richtig billig. Die Cinémathèque ist ein Ort, wo die ganze Filmgeschichte zu sehen ist und jeden Tag fünf, sechs Filme gezeigt werden.

Was hat es gekostet?
Das kostete umgerechnet 50 Cent und, wenn man zwischen den Filmen nicht rausgegangen ist, sondern sich im Klo versteckt hat, dann konnte man für das Geld auch fünf Filme hintereinander gucken. Ab dem späten Nachmittag bis Mitternacht saß ich im Warmen und das war natürlich super. Auf diese Art und Weise habe ich dann in einem Jahr so viele Filme gesehen - fast tausend -, dass ich davon nicht mehr losgekommen bin.

Welche Art von Filmen schauen Sie jetzt? Gehen Sie auch in das normale Kino wie wir?
Ja durchaus. Ich hab zum Beispiel gerade zwei Mal hintereinander Avatar gesehen.

Und wie finden Sie den?
Avatar finde ich sensationell, wirklich atemberaubend gut gemacht. Dass es am Ende doch wieder ein Kriegsfilm wird, das hat mich ein bisschen enttäuscht. Aber wie das erzählt wird, und was für eine Welt da entstanden ist, das finde ich großartig!

Was sagen Sie zu Hollywood-Filmen wie Herr der Ringe oder Fluch der Karibik?
Ich habe selbst viele Jahre in Hollywood gelebt und da auch Filme gemacht. Es gibt wahnsinnig gute Leute dort. Aber im Großen und Ganzen bin ich froh, dass ich wieder zurückgekommen bin.

Warum?

Weil in Hollywood vor allem mit Rezepten gearbeitet wird. Man weiß nach zehn Minuten schon, wie es zu Ende geht. Und das ist für mich im Kino eine Enttäuschung. Herr der Ringe ist ein Zyklus, dann gibt es fünf, sechs, sieben Filme, und die sind alle nach so einem Muster gemacht. Gerade in Hollywoodfilmen sind die Stories und die Leute oft austauschbar. Wenn man Herr der Ringe gesehen hat, könnte es ebenso ein anderer Regisseur als Peter Jackson gewesen sein.

 

Und Ihr Lieblingsfilm unter denen, die Sie gedreht haben?
Ich habe lange, lange Zeit am liebsten Alice in den Städten gemocht.
Da habe ich zum ersten Mal unterwegs gearbeitet und so ein Genre entdeckt, die sogenannten „Road Movies“, also auf einer Reise einen Film zu machen. Und die waren wie für mich gemacht.

Zum ersten Mal habe ich gedacht, Mensch, da ist dir was gelungen, was nicht unbedingt jemand anders hätte machen können. Ich mag solche Filme am liebsten, von denen man merkt, wer hinter dem Film steht.

Erkennen Sie sich in den Figuren Ihrer Filme manchmal wieder?
Schon. Gerade in der Hauptfigur aus Alice in den Städten zum Beispiel. Ich war so wie der eine ganze Weile in Amerika herumgereist und habe Fotos gemacht. Ich hab zwar keine Alice getroffen, aber im Kopf schon.

Ist es leicht, mit Kindern zu arbeiten?
Mit Kindern zu drehen, macht Riesenspaß. Das Problem sind die Erwachsenen dabei, die anderen Schauspieler. Sie sind teilweise richtig genervt, wenn sie mit Kindern arbeiten müssen. Erstens spielen die Kinder sie oft an die Wand und zweitens ist es mit Kindern immer viel lockerer. Bei professionellen Schauspielern ist es oft so, dass sie immer besser werden, je öfter man eine Szene dreht. Bei Kindern ist es umgekehrt: Das erste Mal sind sie super. Und deshalb wollen viele Schauspieler nicht mit Kindern spielen, weil sie wissen, das erste Mal sind die Kinder gut, aber sie nicht.

Bevorzugen Sie traurige oder lustige Filme?
Ich lache unheimlich gerne im Film. Zum Sehen bevorzuge ich lustige Filme, aber ich habe selber noch keine richtige Komödie gemacht. Das ist auch mit das Schwierigste.

Würden Sie gern auch lustige Filme drehen?
Ich übe noch.

Haben Sie eine Frage an uns?
Wer von euch denkt denn, er macht irgendwann einmal Filme?

Ich möchte gerne in diesem Bereich etwas machen, aber ich weiß nicht genau was.

Bis du so weit bist, gibt es ja Berufe, von denen man heute noch gar keine Ahnung hat. Das Handwerk des Filmemachens ändert sich gerade in Windeseile.


Interview: Alina, Sidney, André und David
am 13. Januar 2010

© Text und Bild: Grand méchant loup | Böser Wolf