Ich mag es, Dinge zu erläutern

Eine Begegnung mit Blandine Milcent,

Korrespondentin von L'Express und La Croix in Deutschland

 

 

Was machen Sie genau?
Ich bin Korrespondentin. Der Radiosender und die Zeitungen, für die ich arbeite, haben ihren Sitz in Paris, und meine Aufgabe ist es, über die Geschehnisse in Deutschland zu berichten.


Für eine französische Zeitung?
Ja, ich bin Korrespondentin für eine Tageszeitung, die La Croix heißt, ebenso für den Radiosender RTL und das Wochenmagazin L’Express.


Was muss man studieren, um in Ihrem Beruf arbeiten zu können?
Grundsätzlich kann man alles studieren, um Journalist zu werden. Eine Möglichkeit ist, sich um ein Praktikum bei einer Zeitung zu bewerben.

Die Korrespondenten arbeiten für eine Zeitung oder fürs Fernsehen. Sie leben beispielsweise in Paris und werden zur Berichterstattung nach Deutschland geschickt. Im Normalfall bleiben sie dort für drei bis vier Jahre, bekommen dort ihr Geld und kehren anschließend nach Frankreich zurück.

 


Was ist ein Praktikum?
Das bedeutet, dass man zu einem Unternehmen, einer Zeitung
oder einem Radiosender geht, um dort zu lernen, wie die Leute in ihrem Beruf arbeiten. In der Regel wird man dafür nicht bezahlt. Es wird immer schwieriger, ein Praktikum zu machen. Die zweite Möglichkeit ist, eine Journalistenschule zu besuchen. Man studiert meistens ein oder zwei Jahre an einer Universität und bewirbt sich dann an einer Schule. Man muss eine Prüfung ablegen, wer am besten abschneidet, wird aufgenommen. Ich war zwei Jahre lang auf einer Journalistenschule, um dort zu lernen, wie der Beruf funktioniert, also wie man beim Rundfunk arbeitet, wie eine Zeitung aufgebaut ist und wie es beim Fernsehen abläuft.

Schreiben Sie ausschließlich Artikel über aktuelle Geschehnisse?
Nein, es gibt auch weniger aktuelle Dinge, die mich interessieren. Momentan befasse ich mich mit der Frage, warum die Deutschen weniger Kinder bekommen als die Franzosen. Es ist schon seltsam, die beiden Länder ähneln sich, aber dennoch haben die Deutschen weniger Kinder. Bei dieser Frage, warum die Menschen sich unterschiedlich verhalten, handelt es sich nicht speziell um ein aktuelles, sondern um ein gesellschaftliches Thema. Darüber werde ich einen Artikel schreiben.

           

Warum bekommen die Deutschen weniger Kinder als die Franzosen?  ->

Ist es schwierig, schnell auf eine Agenturmeldung zu reagieren?  

L’Express, die hier liegt, erscheint montags, und Referenden oder Wahlen finden genau einen Tag vorher, also am Sonntag, statt.


Wie schafft man das dann?
Für ein Referendum zum Beispiel werden eigentlich zwei verschiedene Versionen im voraus vorbereitet, also eine für das Nein, eine für das Ja. Am Abend des Referendums drücken sie auf den Knopf NEIN oder JA, wobei die Journalisten natürlich ihre Artikel noch einmal durchsehen und überprüfen, um zu sehen, ob alles noch stimmt. Sie haben in der Woche vor dem Referendum also sehr sehr viel zu tun.

Und wie erfahren Sie, was sonst alles passiert?
Ich lese jeden Tag mehrere Zeitungen, höre Radio, sehe fern und achte auf das, was in Deutschland passiert. Außerdem werde ich von der Regierung über Treffen informiert, beispielsweise zwischen Abgeordneten und dem Bundeskanzler, und ich weiß auch Bescheid, wenn ein französischer Minister zu Besuch kommt. So stelle ich mir eine Themenliste zusammen und rufe anschließend meine Arbeitgeber an, um ihnen zum Beispiel mitzuteilen, dass der französische Staatspräsident zum Abendessen kommt und schlage vor, darüber zu berichten.

Welche Art von Leuten interviewen Sie?
Das können ganz normale Leute oder auch bekannte Persönlichkeiten sein. Mein letztes Interview habe ich mit Richard von Weizsäcker geführt.


Welche Fragen sind gute Fragen, und welche sollte man besser nicht stellen?

Ich weiß nicht, ob es Fragen gibt, die man nicht stellen sollte. Ich glaube, dass man grundsätzlich alles fragen kann, solange die Antworten nicht schon von vorneherein klar sind.


Kann man den Staatspräsidenten fragen, wie oft er sich die Zähne putzt?
Das ist auf jeden Fall eine lustige Idee, aber ich weiß nicht, ob ihm das gefallen würde. Eine Frage ist meiner Meinung nach dann gut, wenn der Befragte etwas antwortet, das ein bisschen außergewöhnlich ist. Der Bundeskanzler wird so oft interviewt, dass seine Antworten immer ein wenig in die gleiche Richtung gehen. Wenn man es schafft, ihm eine Frage zu stellen, die ihn verwundert und ihm eine etwas andere als die gewohnten Antworten entlockt, war die Frage gut. Gut ist eine Frage auch dann, die auf viel Vorwissen hinweist, oder eine Frage, die den Interviewpartner dazu bringt, die Wahrheit zu sagen oder aus seinem Leben zu erzählen.

Selbstständige Journaliste werden für jeden einzelnen Artikel bezahlt. Sie bekommen ihn als Auftrag, schreiben ihn und erhalten kein Gehalt am Ende des Monats. Je mehr Artikel sie schreiben, desto höher fällt also die Bezahlung aus. Wenn sie sich im Ausland befinden, sind sie nicht verpflichtet, nach einer bestimmten Zeit nach Frankreich zurückzukehren, weil sie nirgendwo festangestellt sind.

Arbeiten Sie auch sonntags?
Als Selbstständige ist es so, dass man manchmal sehr viel, hin und wieder aber auch weniger zu tun hat. Daher kann ich sagen, dass ich viel, also mindestens Vollzeit arbeite. Im Grunde muss man immer arbeiten. Stellt euch vor, es geschieht ein Attentat und der
Journalist sagt: Ach wissen Sie, ich habe meinem Sohn versprochen, mit ihm ins Schwimmbad zu gehen, ich komme nicht. So etwas geht nicht.

Was lieben Sie an Ihrer Arbeit?
Ich finde es toll, unterschiedliche Leute kennen zu lernen. Der Kontakt zu den Menschen ist mir also wichtig, ich lerne sehr gern dazu. Ich mag es, Dinge zu erläutern, auch das Schreiben ist mir wichtig. Ich mag es, den Menschen Dinge zu erklären.


<- Je mehr Artikel sie schreiben, desto höher fällt also die Bezahlung aus.

Was gefällt Ihnen nicht an Ihrem Beruf?
Es kommt vor, dass ich viel Zeit mit der Arbeit an einem Artikel und mit Recherchen verbringe, ihn dann nach Paris schicke und als Antwort bekomme, dass zu wenig Platz in der Ausgabe war und er deswegen auf zehn Zeilen verkürzt werden musste. Einmal habe ich drei Tage lang an einem Artikel geschrieben, von dem letzten Endes nur ein Satz übrig blieb. Das sind dann unerfreuliche Tage.


Wollen Sie uns auch eine Frage stellen?
Was interessiert euch am meisten, wenn ihr den Menschen Fragen stellt?

Die Antworten!

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Interview: Alina, Mélodie, David und Sidney
Text & Fotos: © Grand méchant loup | Böser Wolf - 2006 | www.boeser-wolf.schule.de