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"Eines ist ganz sicher, Frankreich und Deutschland
gehören zu Europa", sagte Helmut Schmidt

Ein Gespräch der Kinderreporter des Bösen Wolfes mit Altbundeskanzler Helmut Schmidt, der
am 10. November 2015 gestorben ist und sich für Frieden auf der Welt und Europa eingesetzt hat. Helmut Schmidt war damals 89 Jahre alt. Er hat bei unserem Interview geraucht wie bei allen Journalisten. Als wir dann auf die Terrasse seines Büros gingen, da ist er mit uns gekommen, und er lief ohne Stock! Wir veröffentlichen hier einen Auszug des Gesprächs.

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Helmut Schmidt und Frankreich

Wann waren Sie zum ersten Mal in Frankreich?

Helmut Schmidt: Während des 2. Weltkrieges bin ich einmal in Frankreich gewesen, in Paris. Ich war ein Kurier und musste Akten von Berlin nach Paris bringen. Und ich war begeistert von Paris. Es war für mich eine überwältigend schöne Stadt. Das ist alles, was ich damals von Frankreich begriffen habe.

Konnten Sie sich damals vorstellen, später mit einem Franzosen wie der Staatspräsident Valéry Giscard d’Estaing befreundet zu sein?

Helmut Schmidt: Das hätte ich mir vorstellen können, aber das war im Krieg. Und da kam man nicht auf solche Ideen. Außerdem war ich nur zwei Tage da.

Wo hört Europa für Sie auf?

Helmut Schmidt: Auf diese Frage gibt es viele verschiedene Antworten. Man kann das auch so zusammenfassen: Wenn du sieben oder acht verschiedene Leute um einen Tisch sitzen hast und sie nach den Grenzen Europas fragst, kriegst du sieben oder acht verschiedene Antworten. Eines ist jedenfalls ganz sicher, Frankreich und Deutschland gehören zu Europa.

Der Alltag von Helmut Schmidt als Bundeskanzler

Was wollten Sie werden, als Sie Kind waren, Politiker ?

Helmut Schmidt: Als ich ein kleiner Junge war, habe ich mir darüber gar keine Gedanken gemacht. Sehr viel später wollte ich Architekt werden.

Deutschland war geteilt, als Sie Bundeskanzler waren. Fanden Sie das schade, dass Sie nicht Bundeskanzler waren, als die Wiedervereinigung stattfand?

Helmut Schmidt: Bei der Wiedervereinigung war ich schon viele Jahre aus dem Amt. Auf solche Ideen bin ich nicht gekommen. Ich war auch nicht besonders gerne Bundeskanzler.

Was mochten Sie am liebsten, als Sie Kanzler waren?

Helmut Schmidt: Erbsensuppe… alle zwei Wochen ein Mal.

In der Kantine?

Helmut Schmidt: Nein, nicht in der Kantine. Um ehrlich zu sein, die wurde mir raufgebracht in mein Büro.

Was mochten Sie am wenigsten, oder was hat Sie gelangweilt?

Helmut Schmidt: Gelangweilt haben mich Leute, die viel Zeit verbraucht haben, weil sie so lange geredet haben. Viele Leute reden zu viel.

Was haben Sie am liebsten gemacht?

Helmut Schmidt: Da muss ich lange nachdenken... Da fällt mir keine kluge Antwort ein, und eine dumme Antwort will ich nicht geben.

Haben Sie alle Ihre Ziele erreicht, als Sie Bundeskanzler waren?

Helmut Schmidt: Gewiss nicht. Nein, gewiss nicht.

Was zum Beispiel nicht?

Helmut Schmidt: Ich hätte ganz gerne weniger Arbeitslose in meinem Lande gehabt als wir tatsächlich hatten. Aber wir hatten es mit einer weltweiten Arbeitslosigkeit zu tun. Nicht nur in Deutschland. Auch in England, auch in Frankreich, auch in Amerika. Überall auf der Welt. Und alle Regierungen haben sich Mühe gegeben, die Arbeitslosigkeit zu überwinden. Aber es ist niemandem gelungen, sie ganz auf Null zu bringen.

Wo haben Sie sich am besten in Ihrer Karriere gefühlt?

Helmut Schmidt: Wo ich mich am besten gefühlt habe? Als ich Vorsitzender der sozialdemokratischen Fraktion im Bonner Bundestag war. Das war in den Jahren 1967-69.

Warum?

Helmut Schmidt: Wenn ihr euch wohl fühlt, zum Beispiel eine Coca-Cola im ICE getrunken habt, oder so einen Saft, und man fragt euch: „Fühlt ihr euch wohl?“ und ihr sagt: „Jawohl, wir fühlen uns wohl“, könnt ihr das begründen?

Ja, weil wir gerade etwas trinken und es uns schmeckt.

Helmut Schmidt: Also ihr seid tüchtiger als ich, ich kann das nicht begründen.

Helmut Schmidt und Europa

Was könnte man in Europa verbessern?

Helmut Schmidt: Was kannst du zu Hause in deiner eigenen Wohnung verbessern? Die Antwort ist: vieles. Das ist in Europa auch so. Vieles.

Hat man schon über Europa gesprochen, als Sie ein Kind waren?

Helmut Schmidt: Nein.

Sie haben uns gesagt, das Internet ist nicht zuverlässig, und Zeitungen?

Helmut Schmidt: Auch nicht. Es ist überhaupt ganz wenig im Leben zuverlässig. Ich will ein ähnliches Beispiel geben, das ist noch länger her. Napoleon. Wenn ihr ein französisches Schulbuch in die Hand kriegt, in dem von Napoleon die Rede ist, dann lest ihr über Napoleon etwas ganz anderes als wenn ihr ein deutsches Schulbuch über Napoleon in die Hand kriegt. In den Augen dieser Deutschen war Napoleon ein schlimmer Mensch. In den Augen der Franzosen aber war er ein ganz großer Kaiser.

Helmut Schmidt und seine Freizeit

Mögen Sie Sport?

Helmut Schmidt: Im Fernsehen gucke ich Sport ganz gerne ab und zu, aber nicht länger als eine halbe Stunde.

Was tun Sie, wenn Sie nicht arbeiten?

Helmut Schmidt: Klavierspielen.

Mögen Sie Musik?

Helmut Schmidt: Ja. Früher hörte ich oft Musik. Heute habe ich damit Schwierigkeiten, weil ich die Musik nicht sehr richtig hören kann.

Wovor haben Sie am meisten Angst?

Helmut Schmidt: Ich habe nicht viel Angst. Aber im Lauf des Lebens habe ich Angst gehabt. Z.B. vor Schmerzen. Im Krieg hat man Angst vor schwerer Verwundung gehabt. Nicht so viel Angst vor dem Tod. Aber Angst vor Schmerzen. Und davor hätte ich heute auch Angst, aber weniger als im Krieg.

Mögen Sie Tiere?

Helmut Schmidt: Es kommt sehr drauf an. Heuschrecken mag ich nicht leiden. Schwarze und braune Schleimschnecken auch nicht. Die meisten Vögel mag ich gerne leiden, und Rehe.

Möchten Sie uns eine Frage stellen?

Helmut Schmidt: Was glaubt ihr, wie lange wird die Fähigkeit anhalten, beide Sprachen zu beherrschen, wird es euer ganzes Leben anhalten?

Ja, ich glaube schon.

Helmut Schmidt: Ja? Das ist gut. Ich kann bloß zwei französische Worte, und ich kann sie ganz selten gebrauchen. Die heißen: „Oui Madame“. Wenn mich eine französische Dame etwas fragt, antworte ich immer „Oui Madame“. „Non Madame“ ist schon schwieriger, aber ich kann es gerade auch noch.


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Das Interview mit dem französischen Freund von Helmut Schmidt lesen, dem ehemaligen Staatspräsidenten Valéry Giscard d'Estaing >

Das Interview mit einem anderen Freund von Helmut Schmidt (auch wenn sie nicht in der selben Partei waren), Altbundespräsident Richard von Weizsäcker >

Interview: Alina, David, Emilia, Sidney
Zeichnungen: David, Alina, Sidney
Text, Zeichnungen und Foto: © Grand méchant loup | Böser Wolf. 2007