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Ich kann es nicht leiden,

wenn man sich zu sehr aufbläst...

Ein Interview mit Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck

 

Wir sind nach Potsdam gefahren, um dem Ministerpräsidenten von Brandenburg, Matthias Platzeck, unsere Fragen, aber auch die von den Schülern der Europaschule am Fließ in Schildow zu stellen.

Hier kannst du Spannendes über folgende Themen lesen:     

                                                                                                    1.  Damals in der Schule >>>

                                                                                                        2. Einstieg in die Politik >>>

                                                                                                           3.  Die jetzige Arbeit >>>

                                                                       

4.  Fragen von Kindern aus Brandenburg >>>

5. Als die Mauer fiel >>>

   6.  Persönliches >>>

                                                                                   

                                                                                                    

    

                                                                                                        

Alle Fotos: © Grand méchant loup | Böser Wolf 

 

Damals in der Schule

Mochten Sie die Schule, als Sie so alt waren wie wir?

Die Schule war für mich in den ersten Klassenstufen zum Teil ein bisschen langweilig. Ab der 7. Klasse hat sie mir dann sehr viel Spaß gemacht. Ihr müsst wissen, in der DDR gab es ab der 7. Klasse Spezialschulen für Mathematik und Physik. An einer dieser Schulen habe ich gelernt, weil ich naturwissenschaftlich sehr interessiert bin.

Waren Sie ein guter Schüler?

Ja. Was soll ich sagen... Ja, es war so. Wenn dir etwas Spaß macht, dann bist du meistens auch ein bisschen besser. Wir hatten gute Lehrer. Ich war nicht besonders gut in Musik und Zeichnen, aber in allen anderen Fächern hatte ich gute Leistungen.

Hatten Sie Vorbilder, als Sie ein Kind waren?

Ich wollte mal Kosmonaut werden und ich war ein ganz großer Fan von Juri Gagarin. Er war der erste, der in den Weltraum geflogen ist. Das war ja damals noch etwas ganz Unvorstellbares. Deshalb haben ihn die Menschen verehrt. Ich auch.

                                                                                                 

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Einstieg in die Politik

Warum sind Sie Politiker geworden, wenn Ihr Vater Arzt war und Ihre Mutter medizinisch-technische Assistentin?

Mein Vater war sieben Tage pro Woche weg. Und ich habe immer gesagt, ich will keinen Beruf haben, bei dem ich nur weg bin. Es ist nicht ganz gelungen. Ich bin auch sieben Tage unterwegs.

Was haben Ihre Eltern gesagt, als Sie mit Politik angefangen haben?

Das fanden sie gut. Sie wussten, ich habe eine Ader dafür. Ich habe in der Abiturstufe die Zeitung mit gestaltet und die Abiturrede gehalten. Ich hätte auch gerne in der DDR Politik gemacht, aber ich wollte nicht in die Staatspartei SED eintreten. Und als sich Möglichkeiten boten und ich etwas machen konnte, da haben wir unsere erste Bürgerinitiative gegründet.

Haben Sie das gerne gemacht?

Ich habe das mit Leidenschaft gemacht. Ich wollte diese DDR, in der ich gelebt habe, fröhlicher, bunter, offener, lebenswerter haben. Deshalb bin dann in die Politik gegangen.

Einfach so?

Der Auslöser war ein Alternativkulturfest in Potsdam. Das war nach dem Massaker in China auf dem Tian'anmen-Platz im Juni 1989. Wir dachten, da kommen 300, 400 Leute. Aber 3000 sind gekommen. Dieses Fest war vom Staat nicht erwünscht, aber es hat uns sehr viel Freude gemacht. Und von da an habe ich mit der Politik nicht mehr aufgehört. Ich war dann später am Runden Tisch in der DDR dabei, wurde noch zu DDR-Zeiten Minister in der Übergangsregierung. Nach der Gründung Brandenburgs war ich Umweltminister, dann Oberbürgermeister meiner Heimatstadt Potsdam und jetzt bin ich Ministerpräsident.

Die jetzige Arbeit

Mögen Sie Ihre Arbeit?

Ja, sehr. Mir macht sie jeden Tag Spaß. Ich arbeite sehr gern mit Menschen, ich diskutiere gern, ich vertrage mich auch gerne. Natürlich bin ich manchmal auch ein bisschen unruhig, wenn ich merke, das es zu langsam voran geht oder nicht in die richtige Richtung. Aber ich denke, ich bin hier in diesem Beruf gut aufgehoben.

Was gefällt Ihnen nicht?

Ich hätte gern ein bisschen mehr Zeit für meine Frau - ich bin seit einem Jahr verheiratet - und für meine Töchter. Aber wir haben eine Tradition: Wir fahren immer zu Pfingsten zusammen mit den Kindern fünf Tage lang weg. Ich koche dann für alle, und dann reden wir über alles, wozu wir in dem Jahr nicht gekommen sind.

Ich fand die SPD-Wahlkampagne zur Europa-Wahl nicht sehr toll...

Ich ahne, was du sagen willst, wegen der Haifisch-Plakate...                 

<- Vor dem Sitz der Landesregierung in Potsdam                      Hat die SPD deshalb bei den Wahlen                                                                                                schlecht abgeschnitten? 

Glaube ich nicht. Plakate sind in einem Wahlkampf nicht unwichtig, aber sie entscheiden eine Wahl nicht. Das sagen zumindest die Forschungsinstitute. Plakate erfüllen nur einen Sinn: dass man darüber redet. Es wurde viel über diese Plakate gesprochen und geschrieben. Ich persönlich mache nie Wahlkampf gegen irgendetwas, weil das meinem Naturell widerstrebt. Ich versuche immer, Wahlkampf für etwas zu machen. Ich habe Pläne, ich möchte, dass etwas sich in eine bestimmte Richtung entwickelt. Und dafür versuche ich Wahlkampf zu machen, die Menschen zu überzeugen.

 

Fragen von Kindern aus Brandenburg*

Seit wann gibt es Brandenburg? (Steffen)

Wir haben vergangenes Jahr den 850. Geburtstag gefeiert. Wir nennen uns zwar das „junge neue Bundesland“, weil wir 1990 als wieder gegründetes Brandenburg zur Bundesrepublik hinzukamen. Aber in Wirklichkeit sind wir eines der ältesten Bundesländer überhaupt. Unser Gründungsort ist, wenn man so will, der Dom der Stadt Brandenburg.

Wie viele Kinder gibt es in Brandenburg? (Niklas)

Über 340.000. Aber immer noch zu wenig. Wir sind froh, dass es langsam wieder mehr werden. Wir haben einen schlimmen Geburtenknick hinter uns. Der Grund: Viele Menschen waren vor 15, 20 Jahren sehr unsicher, wie die Entwicklung in Ostdeutschland nach dem Zusammenbruch der DDR weitergeht. Jetzt normalisiert sich die Lage wieder. Ich finde, eine Familie braucht zwei, drei  Kinder, am besten vier.

Wie kommt Brandenburg zu seinem Namen? (Jasmina)

Da gehen die Meinungen auseinander. Ich kann es nicht genau sagen. Ich glaube, das hat noch keiner wirklich herausgefunden.

Würden Sie lieber Ministerpräsident eines anderen Bundeslandes werden?

Nein. Ich lebe in diesem Land gerne. Wenn ich anderswo bin, fühle ich mich zwar auch wohl, aber in Brandenburg bin ich zu Hause, das ist meine Heimat. Ich mag die Landschaft, die Menschen. Die Leute hier sind manchmal ein bisschen verschlossen, aber wenn sie Vertrauen aufgebaut haben, dann sind sie treu, verlässlich.

Was möchten Sie noch in Brandenburg verändern? (Freddy)

Na eine ganze Menge. Wir möchten, dass unser Land ein richtig lebenswertes und modernes Land wird, mit einer guten Zukunft. Wir brauchen noch viel mehr Betriebe mit zukunftssicheren Arbeitsplätzen. Ein Beispiel: Wir haben schon heute etliche Fabriken, die Sonnenstrommodule herstellen. Viele Menschen haben durch dieses schöne Produkt Arbeit gefunden. Solarzellen sichern auch eure Zukunft, denn mit ihrer Hilfe kann Strom aus der Sonne gewonnen werden. Im Moment ist Brandenburg das Bundesland, in dem die meisten Photovoltaik-Module produziert werden. Wir bauen auch gerade das weltweit größte Solarkraftwerk im Süden des Landes. Wir sind auch ganz vorne bei der Nutzung der Windenergie mit Hilfe der großen Windmühlen.

Die sind aber nicht immer sehr schön...

Ja, manchen sind es zu viele. Aber wenn man Energie naturverträglich gewinnen will, dann hat das auch ein paar Nachteile, ganz ohne diese Einschränkungen geht es nicht. Also, ich möchte, dass wir ein Land sind, in dem jeder, der hier groß wird, auch seine Chance hat. Ich möchte, dass keiner von hier wegziehen muss, weil er für sich keine Zukunft sieht. Ich möchte, dass die Menschen gerne hier leben und dass für gute Arbeit gutes Geld bezahlt wird. Und ich möchte, dass auch Leute aus dem Ausland kommen, denn wir brauchen dringend Fachkräfte. Dieses Land soll dafür stehen, dass die Leute freundlich zueinander sind, egal, woher sie kommen oder welche Hautfarbe sie haben oder an was sie glauben. Dass sie sich tolerieren und akzeptieren, respektieren und miteinander einfach friedlich leben.

Welche ist Ihre Lieblingsstadt? (Celine)

Ich finde alle Städte unseres Landes schön und liebenswert. Natürlich habe ich eine besondere Beziehung zu meiner Heimatstadt, ich bin hier in Potsdam geboren und groß geworden. Und Potsdam ist eine traumhaft schöne Stadt. Wir sind die Stadt in Deutschland mit dem meisten Zuzug. Kein Wunder: Es gibt hier unheimlich viele Seen, die Havel zieht sich durch die Stadt. Hier findet ihr große Parks, unzählige Schlösser, überall Wald. Es ist genau das, was wir von einer Stadt neben einem reichen Kulturangebot erwarten. Und in 20 S-Bahn-Minuten können wir in Berlin sein mit seinen Theatern und Operhäusern.

Sanssouci, eins der zahlreichen Potsdamer Schlößer ->

Was nützt es Brandenburg, wenn es in der EU ist?     (Sophia)                                                                                                

Unheimlich viel. Wir bekommen sehr viel finanzielle Unterstützung von der EU. Ganz viele Projekte gäbe es in Brandenburg nicht, wenn wir nicht Hilfe von der EU bekämen. Es ist aber auch noch etwas anderes ganz wichtig: Deutschland lebt davon, dass es friedlich mit seinen Nachbarn lebt. Seit über 60 Jahren gibt es hier in Mitteleuropa keine Kriege. Das hat ganz viel mit der EU zu tun. Weiter: Deutschland geht es unter anderem auch deshalb so gut, weil wir viele Waren in alle Welt verkaufen können. Die meisten Exportartikel gehen in die EU.  Dadurch hat sich der Markt für unsere Firmen vergrößert, und so können wir viele Arbeitsplätze sichern.

 

Als die Mauer fiel

Als es noch die Mauer gab, konnte man nicht ausreisen...

Ich habe mir das vor 1989 immer gewünscht. Ich hatte Sehnsucht, die Welt zu sehen.

Was haben Sie gemacht, als Sie die Erlaubnis hatten?

Wir hatten ab dem 9. November 1989 praktisch keine Reise-Einschränkungen mehr, allerdings auch kein Westgeld. Ich bin aber überhaupt nicht weggekommen, weil es hier plötzlich soviel zu tun gab, gerade in den ersten Monaten. Das war aber nicht mehr so schlimm. Das Gefühl war wichtig, „ich kann  verreisen“. Als ich die erste Reise Silvester 89 machen wollte – wir wollten zu Freunden nach Hamburg – bin ich abends kurz vorher eingeschlafen und war drei Tage nicht mehr ansprechbar, weil wir die Wochen vorher so gut wie nicht geschlafen      hatten. So fiel die Hamburgreise aus. Meine erste geplante Westreise habe ich verpennt!

"Ich hatte Sehnsucht, die Welt zu sehen..." ->                          Können Sie mehrere Sprachen sprechen?

                                                                                              Nein, leider nicht. Das ist mein größtes Manko.

Ich habe in der Schule Russisch gelernt. Ich sprach auch ganz gut, aber wenn eine Sprache zwanzig Jahre nicht genutzt wird, dann verlernt man sie. Beim Abitur habe ich Französisch gelernt. Der Nachteil war, dass ich diese Sprache danach in der DDR nie wieder gebraucht habe. Der Vorteil jetzt ist, dass ich in Frankreich die Schilder lesen kann, aber die Sprache sprechen kann ich leider nicht. Alle meine Kinder sprechen jeweils zwei andere Sprachen, damit müssen sie dieses Manko ihres Vaters nicht mehr durchs Leben tragen.

 

Persönliches

Unterstützen Sie Brandenburgische Vereine wie Cottbus oder Turbine Potsdam?

Ja. Ich bin bei Turbine Potsdam Mitglied im Verein, schon seit langem, und war neulich zum letzten Spiel Turbine gegen VfL Wolfsburg. Es war spannend wie ein Krimi und Turbine Potsdam ist am Ende deutscher Meister geworden vor Bayern München, mit einem Tor Vorsprung! Wir haben dann sehr lange gefeiert. Kein Fachmann hatte diesen Triumph vermutet. Es ist immerhin die jüngste Mannschaft der Bundesliga. Es standen in der Auswahl junge Mädchen von 17, 18 Jahren, und sie sind jetzt deutscher Meister, es ist schon eine tolle Truppe.

                                                                                                        Turbine Potsdam ist Deutscher Meister ->  

Sie waren schwer krank, wieso haben Sie das nicht gleich gesagt?

Erstens ist Krankheit, solange sie die Arbeit nicht beeinträchtigt, Privatsache. Zweitens bin ich an sich relativ robust, auch schnell erholt. Als ich gemerkt habe, es ist ernster und es beeinträchtigt meine Leistungsfähigkeit als Parteivorsitzender, habe ich Schlussfolgerungen gezogen. Aber generell muss es nicht wegen jedem Wehwehchen eine Pressemitteilung geben.

Haben Sie danach die Sachen aus einer anderen Perspektive gesehen?

Ja klar. Ich hinterfrage stärker: was geht und was geht nicht. Ich will das, was ich mache, möglichst gut machen. Deshalb muss ich mich entscheiden, welche Schwerpunkte ich setze. Und das tue ich auch.

Was können Sie nicht leiden bei einem Menschen?

Also auf jeden Fall, wenn sich einer zu wichtig nimmt. Auch wenn einer nicht verlässlich, nicht ehrlich ist. Ansonsten komme ich mit vielen menschlichen Eigenschaften klar. Jeder ist ein bisschen anders, und das ist auch o.k. so.

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Interview von Coralie, Emil und Clara.

* Für ihre tollen Fragen danken wir auch den Schülern der 5c der Europaschule am Fließ in Schildow - leider war die Zeit zu knapp, um alle Fragen, die uns gesendet wurden, zu stellen. Nächstes Mal hoffentlich!                  

© Grand méchant loup, www.boeser-wolf.schule.de


 

 

 

 

 

 

In der S-Bahn, auf dem Rückweg nach Berlin ->